Eine Auswahl von Sätzen, die ich oft genug gehört habe. Die zwar meist nett gemeint, aber für jemanden, der mit den Nachwirkungen einer Kopfverletzung lebt, sehr verletzend sein können. Nur weil es nicht offensichtlich sichtbar ist, heißt das nicht, das es nicht da ist. Unsichtbare Verletzungen und Probleme können stärker beeinträchtigen als sichtbare, da erwartet wird, dass man ’normal‘ funktioniert. Man würde von niemanden mit einem gebrochenen Bein einen Marathon erwarten. Nach Kopfverletzungen fühlt es sich oft genauso an, nur wird erwartet, dass man es leicht schafft. Die Heilung einer Kopfverletzung kann über Jahrzehnte hin begleiten.
1. „Man sieht ja fast nichts mehr! Wie gut alles verheilt ist.“
Gehört immer zu meinen Liebsten. Ich sehe noch sehr viel. Ich sehe die Narben, spüre Platten, spüre kein Gefühl in der Haut. Ich sehe anders aus als die über 20 Jahre davor. Ich bin plötzlich mit Problemen konfrontiert, die ich vorher nicht kannte. Es sind zwar kleine Änderungen, aber ich sehe es.
Dazu kommen die unsichtbaren Probleme, die sehr oft nach einer Kopfverletzung auftreten, jedoch nicht besprochen werden. Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Schlafprobleme, Kopfschmerzen, Müdigkeit, PTBS, Depressionen, Angst & wenig Energie, um ein paar zu nennen. Nur weil es nicht sichtbar ist, heißt es nicht, dass es nicht da ist.
2. „Du hattest so viel Glück!“
Ein Satz, mit dem man extrem vorsichtig sein sollte. Der Betroffene sieht es wahrscheinlich nicht so, und man kann lebensbedrohliche Situationen nicht als Glück bezeichnen. Es verändert das Leben, man denkt immer wieder, was wäre gewesen, wäre es nicht passiert. Neue Schmerzen, neue Probleme, Ziele, die man nicht mehr erreichen kann. Wenn dann noch jemand sagt, wieviel Glück man hatte… es hilft nicht.
3. „Du probierst es nicht stark genug / du willst es gar nicht versuchen.“
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit versucht der Betroffene alles so gut er kann. Vieles ist nicht mehr so leicht wie früher oder wie es für andere scheint. Das Gehirn arbeitet nicht wie gewohnt, Dinge fallen schwer, Energie ist begrenzt. Aber man kämpft.
Wenn dann (für den anderen) kein zufriedenstellendes Ergebnis rauskommt, und das noch deutlich gesagt wird, kann es jede Hoffnung, Bemühung und Willen zerstören.
4. „Es ist alles nur in deinem Kopf / du bildest es dir ein.“
Es ist WIRKLICH alles in meinem Kopf. Mein Gehirn ist in meinem Kopf. Die Verletzungen sind da. Die Narben sind da. Es fühlt sich sehr herabsetzend an, solche Dinge zu hören. Man hat das Gefühl, das Verletzungen nicht anerkannt werden und man halt damit klarkommen muss, und möglichst so tun sollte, als wäre alles in Ordnung. Man fühlt sich durch solche Aussagen nur noch schlechter, weil man ja selbst nicht wirklich versteht, was los ist, warum es so ist.
5. „Du solltest dankbar sein (noch zu leben).“
Nein. Niemand sollte sich verpflichtet fühlen, für schlimme Ereignisse/Situationen/Erlebnisse dankbar zu sein. Ganz einfach. Überlebende sind nicht immer glücklich darüber, noch am Leben zu sein. Daher können solche Sätze sehr viele negative Emotionen hervorholen.
So, dass war es erstmal. Ganz schön aufwühlend, sehr persönlich. Ich habe alle Sätze schon gehört. Teilt gerne, wie es euch damit geht. Habt ihr schon solche Situation erlebt, euch solche Dinge anhören müssen?
Das beste was man tun kann, ist für den anderen da zu sein. Nicht wertend, sondern unterstützend und helfend – am wichtigsten ist es aber, an der Seite zu bleiben und miteinander zu reden. Ohne Vorurteile zu kommunizieren, keine abwertenden Gesichtsausdrücke – dafür ehrliche Unterstützung.